In der Hütte war eine schwarzgeräucherte Küche mit Steinboden und "ärä Herdgruabä", einer offenen Feuerstelle. Die Stube mit dem rohen Holz an den Wänden, dem weißen Ofen und der tickenden Uhr war nicht nur für eine kurze Rast, sondern zum Längerbleiben gemütlich einladend. Nie versäumte ich vor dem Herrgottswinkel, mit den zwei Heiligenbildern und dem Rosenkranz, ein ehrfürchtiges Kreuzzeichen zu machen. Aber die Uhr mahnte weiterzugehen. Stärker war jedoch die Neugier, und schnell lief ich zu der kleinen Kapelle nach oben, die für eine Alpe etwas Besonderes darstellte. Woanders hatte man nur ein Alpkreuz. Andächtig kniete ich mich ein Weilchen in den kleinen Betstuhl und bekam ein richtiges Kirchengefühl. Nach einer kurzen Kniebeuge begab ich mich zur Sennhütte hinunter. Dort war ein riesengroßer, gold-kupfrig-glänzender Sennkessel, zu dreiviertel gefüllt mit Milch, aus der große Käse gemacht wurden. Kleine Gaiß- oder Schafkäsle machten die Frauen selbst, daher rührt auch der Spruch, der erklären soll, wie der scharfe Geruch des Käses zustande kam: " Waromm ischt der Chäs so räß? Ma duät'n in äs Chübele ond drückt'n mit am Füdele, dromm ischt der Chäs so räß". Die Sennküche war besonders warm, denn unter dem Kessel brannte ein großes Feuer. Ich schaute dem Senn bei seiner Arbeit eine Weile zu und ging nach einem „Pfüadi“ (Ade) in unsere Hütte hinunter, um mich auf den Heimweg zu machen.
Die Milch wurde in den „Putsch“ geschüttet und derselbe in den Rucksack gebunden. Zuvor mußte der Deckel mit Pergament umwickelt und mit festem Druck auf die Butte getan werden, damit die Milch nicht herausquellen konnte, wenn ich losrannte. Das Geräusch bergab war „tsch, tsch, tsch“, und manchmal schlug ich mir auf dem steinigen Weg vor lauter Eile mein Zehenkäppchen auf oder gar ab. Das tat fürchterlich weh, aber nach etlichen Malen paßte ich besser auf, und es passierte mir nur noch selten.
Eine Zeitlang war in mir große Angst vor Schlangen und Hornissen, weil ich gehört hatte, daß sie gefährlich sind. Ergab sich irgend ein Geräusch durch den Wind oder durch flüchtendes Wild, wurde ich starr vor Schreck, denn ich glaubte, gestochen oder gebissen zu werden. Weil mir diese Ungeheuer aber nie unter die Augen gekommen sind, lief ich beruhigter meines Weges.
Bei schlechtem Wetter begegnete mir auf dem Weg öfters ein „Wätterdätsch“ (Alpensalamander), manchmal waren es sogar zwei, die sich balgten. Ich ließ sie zu meiner Unterhaltung über meine nakten, nassen Füße krabbeln und vergnügte mich damit. Wie schon erwähnt, es gab Tage, wo es sogar mitten im Sommer sehr kalt war und auf der Alpe schneite, da fror es mich dann mächtig und ich weinte bitterlich. Zum Trost und um ein wenig warm zu werden, wartete ich neben den Kühen solange, bis endlich eine davon eine „Kuhpflatter“ (Kuhflade) fallen ließ in die ich mich schnell hineinstellte. Darin blieb ich solange, bis ich aufgewärmt den Weitermarsch antreten konnte.
War das Wetter trocken, schaukelte ich gern an den herunterhängenden Tannenästen. Immer schwang ich mich soweit wie möglich in die Höhe; da hieß es festhalten, doch manchmal landete ich unsanft auf der harten Welt und flog womöglich noch einen steilen Abhang hinunter.
Mein Traum von Gut, Geld und schnellem Reichtum, glaubte ich in Erfüllung gegangen, als ich eines Tages auf dem Weg einen goldglänzenden Füllfederhalter und etwas weiter entfernt eine schöne Jacke fand. Da war ich überglücklich. Aber nicht lange, denn zu Hause vorgeführt, mußte ich beide Teile zum Gendarmerie Posten-Kommando bringen. Man erklärte mir, das wäre das Fundamt. Ich mußte alles dortlassen und wurde mit einem kurzen Kopfnicken abgefertigt. Damit erlebte ich eine große Enttäuschung, erfuhr, daß Träume Schäume sind und war geheilt. Am Sonntag war mir der Gang auf die Alpe ein Greuel. Zuerst mußte ich in die Frühmesse, dann in das Hochamt und nachher raus aus dem „Sonntagshäß" (Gewand), um mich auf den Weg zu machen. Während dem ersten Drittel des Aufstiegs hörte ich vom Dorf das Bimmeln der einzigen Sommerkuh, die ich um ihr ruhiges Dasein beneidete. Einmal habe ich vor lauter Protest so „g'stored“ (war langsam unterwegs), daß ich erst abends oben angekommen bin.
Noch heute spüre ich den Schreck in mir, als ich die Stubenuhr sieben mal schlagen hörte und es in der Hütte mucksmäuschenstill war. Die letzten Sonnenstrahlen schienen zu den kleinen Fenstern herein und kein Mensch war zu sehen. Da war es mir nicht mehr wohl in der Haut, denn das hatte ich noch nie erlebt. So fiel mir ein, daß die Älpler mit dem Vieh zur oberen Alpe gezogen waren. Wohl oder übel mußte ich auf den Weg dorthin, das war nochmal über eine halbe Stunde Anstieg, und kam endlich zu meiner Milch. So schnell wie möglich rannte ich heimwärts, aber die Dunkelheit holte mich ein. Auf dem letzten Stück Weg sah ich plötzlich eine Gestalt und erkannte mit freudigem Erschrecken meine Mutter, die mir entgegenkam.
Komischerweise schimpfte sie nicht mit mir.
Anscheinend war sie über mein langes Ausbleiben sehr besorgt, was für mich eine Genugtuung war. Immerhin war ich an diesem Sonntag von morgens elf Uhr, bis abends neun Uhr unterwegs.
Wenn ich manchmal eines der Dorfkinder dazu brachte mitzugehen, da beeilten wir uns nicht allzusehr. Ich stieg mit ihm auf dem unteren Weg, der zwar weiter, aber nicht so beschwerlich war der Alpe zu und zur Abwechslung pflückten wir viele Blumen und stiegen noch auf die Kuhgehrenspitze oder auf einen anderen Berg. Da war der Abstieg ein langes, steiles Grasmahd, wo es Anemonen und Arnika zu tausenden gab. Darunter waren aber viele stachlige Disteln, die unsere bloßen Füße schwer mitnahmen.
Wenn ich zu lange unterwegs war gab es zu Hause ein Donnerwetter, denn sie wußten genau die Wegzeit zur Alpe, zumal ich manchmal den Auf- und Abstieg im Schnelltempo von nur 1 1/2 Stunden bewältigte und mich zeitmäßig damit preisgab.
Sah mein Vater die großen Blumensträuße so war er ungut und mahnte:" Da haben ja die „Emmen“ (Bienen) nichts mehr zu holen." Er behauptete, daß seine Bienen bis auf die Bergwiesen der Zweren-und Riezleralpe fliegen würden, um Nektar zu holen.
Im Tal war nach der Heuernte für die Bienen Schmalhans, denn es war außer in unserem Gärtchen nirgends mehr ein Blümchen zu finden, weil die Bauern alles abmähten, um im Winter für das Vieh genug Futter zu haben. Das Walsertal war zu dieser Zeit eine grüne Oase mitten in den Bergen. Da Sträucher und Bäume den Heuertrag geschmälert hätten, ließ man sie nicht aufkommen.